(TS): Viele Schweizer KMU aus der MEM-Industrie tun sich auch heute noch sehr schwer, sich in den digitalen Medien zu positionieren. Die Gründe hierfür sind vielfältig, jedoch in den meisten Unternehmen dieselben. KMU aus der MEM-Industrie verfügen oftmals über Expertenwissen im technischen Bereich, sind aber meistens schwach im Marketing ausgestattet. Der Vertrieb läuft in vielen Unternehmen noch über klassische Mittel wie den Aussendienst und Messebesuche. Der Internetauftritt dieser Unternehmen wird dürftig aktualisiert und die digitale Transformation in Marketing und Vertrieb findet nicht statt. Und jetzt soll «Social Selling» das neue Zauberwort sein, um den Umsatz zu steigern?
Wie soll das gehen?
(MDV): Social Selling ist die digitale Umsetzung von Dingen, die wir auch heute schon tun, um Vertrauen aufzubauen, wie Reputationsmanagement, PR und Netzwerkpflege. Der Grundgedanke ist also nicht neu. Für die Umsetzung in der digitalen Welt aber braucht es Fachwissen, Kompetenzen, Budget und Ausdauer. Besonders Letzteres wird häufig unterschätzt. Social Selling ist kein Mittel, um kurzfristig den Umsatz zu steigern. Daher vergleiche ich Social Selling gerne mit einem Marathon.
(TS): Kannst du anhand eines konkreten Beispiels eines Schweizer KMU aus der MEM-Industrie aufzeigen, wie gutes und erfolgreiches Social Selling funktioniert, was es dazu benötigt und welche Ressourcen das Unternehmen zur Verfügung stellen muss. Denn das Thema mit den Ressourcen – finanziell wie personell – ist immer ein sehr grosses Thema, wenn es darum geht, irgendetwas im Internet zu machen.
(MDV): Ja, es hält sich hartnäckig die Meinung, dass im Internet alles gratis ist und wenn man jung ist, kann man das auch automatisch alles richtig einsetzen. Besonders den KMU muss klar sein: Für einen professionellen Auftritt braucht es eine Strategie, Fachwissen und Ressourcen. Ansonsten verzettelt man sich und landet im besten Fall einen Zufallserfolg.
Es gibt viele erfolgreiche Social-Selling-Verkäufer und -Verkäuferinnen, die jedoch nicht auf den ersten Blick auffallen, da man auf der Plattform meist nicht sieht, wie sie ihr digitales Netzwerk ausbauen und nutzen.
Bei den Unternehmen ist es einfacher. Auf der Unternehmensseite sieht man die Zahlen zu Followern, Mitarbeitenden auf LinkedIn, Beiträge etc. Wenn man auf LinkedIn zum Beispiel nach Maschinenbau und Schweiz sucht, erhält man einen Branchenüberblick und sieht an den Followerzahlen sehr gut, wer hier in Social Selling und digitales Reputationmanagement investiert. So hat zum Beispiel die Bartholet Maschinenbau AG mehr als 2000 Follower. Wohingegen die anderen Unternehmen auf der Suchergebnisseite zwischen 200 und 800 Follower liegen. Schaut man dann die Beiträge an, haben diese von Bartholet Maschinenbau AG mehr als 200 Reaktionen (Likes, Kommentare). Daraus lässt sich schliessen, dass ihr Netzwerk an den Neuerungen sehr interessiert ist, und auf diesem Weg gut erreicht werden kann. Von den 69 auf LinkedIn präsenten Mitarbeitenden sind einige aus den Fachbereichen, aber auch aus dem Vertrieb.
https://www.linkedin.com/company/bartholet-maschinenbau-ag
(TS): Nun sind viele KMU-Unternehmen in der Schweiz auch im Export tätig. Was rätst du solchen Firmen, wie sollen sie ihre Ressourcen einsetzen, um nicht nur in einem Land mit Social Selling zu arbeiten? Was ist nötig, dass ein international tätiges KMU aus der MEM-Industrie Umsatz und Gewinn dank Social Selling länderübergreifend steigern kann?
(MDV): Die digitalen Business-Netzwerke sind in der Regel bereits international. So erreicht man mit einem deutschsprachigen Profil auf XING oder LinkedIn direkt den DACH-Markt. Um dies zu verstärken, kann das KMU nun auch gezielt internationale Märkte adressieren, in dem man Inhalte auch in der Sprache der Zielmärkte erstellt sowie regionale Marktpartnerinnen und Meinungsbildner einbindet.
(TS): Wenn ein Unternehmen noch keine Erfahrung im Social Selling hat und in den sozialen Medien überhaupt noch nicht gross unterwegs ist, was empfiehlst du solchen Firmen, damit sie ihr internes Wissen aufbauen können? Sind Aus- und Weiterbildungen an einer Hochschule nötig oder findet man heute nicht auch praktisch alles kompakt und übersichtlich im Internet?
(MDV): Es gibt seriöse Videokurse zu Social Selling auf Plattformen wie LinkedIn Learning oder Udemy. Damit kann man sich ein Grundverständnis aneignen und erste Massnahmen ergreifen, wie Profile erstellen und einen Publikationsplan entwerfen. In einem Fachhochschulkurs geht es dann eher darum mit Fachexpertinnen und Fachexperten an langfristigen Strategien zu arbeiten, neueste Methoden kennen zu lernen sowie von deren Praxiserfahrung zu profitieren. Aber es gibt auch Angebote, die schnellen Erfolg versprechen und dazu unlautere Praktiken anwenden. Dies kann das Image der Person oder des Unternehmens beschädigen oder sogar zum Ausschluss von einer Plattform führen.
(TS): Gibt es heute spezielle Lehrgänge für Unternehmen aus der MEM-Branche zum Thema Social Selling? Wenn nein, wäre das nicht ein Thema, denn aus eigener Erfahrung weiss ich, dass der digitale Vertrieb in der MEM-Industrie erst in den Anfängen steckt.
(MDV): Social Selling ist ein wichtiger Baustein im digitalen Vertrieb. Es ist sinnvoll dies nicht als Insellösung anzusehen, sondern Social Selling systematisch in das digitale Marketing und den digitalen Vertrieb zu integrieren. Entsprechend ist Social Selling ein Thema in verschiedenen Lehrgängen, die jedoch meist nicht branchenspezifisch sind. Bei uns ist Social Selling im Lehrgang CAS Digitales Vertriebsmanagement integriert. https://www.fhnw.ch/de/weiterbildung/wirtschaft/cas-digitales-vertriebsmanagement
Eine weitere Möglichkeit wäre es, die Erarbeitung einer Social-Selling-Strategie als studentische Arbeit zu vergeben. Bisher hatte ich zum Spezialgebiet Social Selling noch keine Anfrage, aber im letzten Jahr habe ich die Erarbeitung einer allgemeinen Social-Media-Strategie für die Positionierung eines Hallenbauers begleitet.
(TS): Und nun zum Schluss: Was denkst du, wie wird sich der digitale Vertrieb in den kommenden Jahren in der MEM-Industrie entwickeln?
(MDV): Die digitale Kundenkommunikation wird professioneller werden und stärker automatisiert ablaufen. Damit wird der Mensch immer wichtiger, da der persönliche Bezug den Unterschied macht. In dieser durchstrukturierten Welt können wir mit einer persönlichen Nachricht, sei es mit einem Telefonat, einem Besuch oder einer LinkedIn-Nachricht doppelt punkten und Vertrauen schaffen.
(TS): Danke für das interessante Interview.